„Es ist unwahrscheinlich, dass bei den vorgeschlagenen Aktivitäten eine versehentliche Ölverschmutzung auf der Oberfläche oder unter der Oberfläche auftritt.“ Dies ist ein Zitat, das Fazit, das aus dem 52-seitigen Explorations- und Umweltverträglichkeitsplan von BP ausgeht.
Verfasst im Februar 2009, reichte BP diesen Plan bei der MMS (Minerals Management Service – Bureau of Ocean Energy Management USA) ein, um die Genehmigung für Ölbohrungen im Macando-Prospect zu erhalten. Das Macando-Prospect ist eine Zone zur Öl- und Gasförderung der Vereinigten Staaten. Es liegt im Golf von Mexiko, beginnend etwa 66 km vor der Küste von Louisiana.
Zwar räumte BP in seinem Bericht ein, dass ein Unfall Strände, Naturschutz- und Wildnisgebiete beeinträchtigen würde, argumentierte aber, dass „im Falle eines Unfalls…festgestellt (ist), dass aufgrund des 77 km vom Ufer entfernten Bohrlochs und der umsetzbaren Reaktionsfähigkeiten keine signifikanten nachteiligen Auswirkungen zu erwarten sind.“
Demnach sei es unwahrscheinlich oder praktisch unmöglich, dass ein Unfall passieren könne, der zu einer riesigen Rohölverschmutzung und ernsthaften Schäden an Stränden, Fischen und Säugetieren führen würde.
In diesem Bericht ging es um die Bohrinsel Deepwater Horizon. Jene Bohrinsel, auf der es 14 Monate nach dem BP-Bericht zu einem Blowout und einem Brand kam und die zwei Tage später infolgedessen unterging. Jene Bohrplattform, die zu der schwersten Umweltkatastrophe ihrer Art und zur Ölpest im Golf von Mexiko führte.
Wissen und verstehen – Ablauf einer Tiefbohrung auf Ölplattformen
Um die Zusammenhänge überhaupt zu verstehen, muss man erst einmal verstehen, wie solch Tiefbohrungen ablaufen. Das beginnt bei der Deepwater Horizon damit, dass sie eine sogenannte Explorationsplattform war. Diese Bohrinseln erschließen Öl- oder Gasfelder. Sie fördern aber kein Öl, dies geschieht erst später durch Förderplattformen. Um es sehr platt und simple auszudrücken: Die Deepwater Horizon hatte die Aufgabe, Öl in der Tiefe der Meere zu finden. Wenn dieser Zweck erfüllt ist, wird das entstandene Bohrloch durch ein Spezialsegment wieder verschlossen. Die Plattform wird eingefahren und das Fördern von Öl durch eine Förderplattform kann beginnen.
Im September 2009 gelang der Deepwater Horizon die bisher tiefste Bohrung ihrer Art auf 10.685 Metern unter dem Meeresspiegel. 2010 zählte die Deepwater Horizon zu den modernsten Explorationsplattformen. Ausgestattet mit einem e-drill Überwachungssystem, war es möglich, sie von der Ferne zu warten. Viele Jahre hatte es keinen Unfall gegeben; die Deepwater Horizon galt als sicher.
Ab einer Bohrtiefe von 500 Metern spricht man von einer Tiefbohrung. Die Bohrung findet also nicht nah an der Oberfläche statt, sondern greift in tief darunterliegende Gebirge vor. Das ist ein generell risikoreiches Unterfangen. Denn das Grundproblem ist, dass unter dem Meeresboden enormer Druck herrscht. Es braucht also einen starken Gegendruck, um in diesen Tiefen ein Loch zu bohren. Sonst kann es zu dem sogenannten Blowout kommen. Öl und Gas schießen durch die Sedimente des Wassers mit gewaltiger Kraft nach oben. Um dies zu verhindern, wird das Röhrensystem der Bohrung durch eine Zementverkleidung fixiert. In diesen Rohren befindet sich Bohrschlamm, dessen Druck höher sein muss, als der Gegendruck im Öl-Reservoir. Ist die Bohrung – also in diesem Fall das Suchen und Finden von Öl – abgeschlossen, werden Zementstopfen in die Bohrung oder auch mechanische Barrieren eingebaut. Diese verhindern dann einen Blowout, sind in dem gesamten Vorgang aber der heikelste und wichtigste Moment.
Die wichtigste Rolle spielt in diesem gesamten Verfahren der sogenannte Blowout Preventer. Das ist ein Stahlkoloss, der direkt am Meeresboden, wo das Bohrloch beginnt, mit dem Austrittsrohr zur Plattform verbunden ist. Dieser Preventer ist mit Ventilen ausgestattet, die es erlauben, das Rohr zu Plattform zu öffnen oder zu schließen. Versagt die manuelle Steuerung des Blowout Preventers, riegeln im Normalfall Sperrverschlüsse den Durchfluss automatisch ab.
Um eine Bohrung bei der Suche nach Öl möglichst sicher zu machen, werden im Vorfeld Qualitäts- oder Testbohrungen durchgeführt. Diese Unterdruck- und Überdrucktest sollen gewährleisten und feststellen, dass die Rohre zur Bohrung dicht sind und der Druck konstant bleibt, die Tiefbohrung also sicher und kein Blowout zu befürchten ist.
Warum ich das erkläre? Weil hier die Katastrophe der Deepwater Horizon beginnt. Und man Vorgänge verstehen muss, um die Geschehnisse zu begreifen.
Für alle Techniker und Ingenieure an dieser Stelle: Ich weiß, dass das sehr, sehr simple ausgedrückt ist. Es soll dem allgemeinen Verständnis der Vorgänge dienen und kein Lehrstück an Tiefbohrungen darstellen. Danke für das Verständnis.
Chronik einer Umweltkatastrophe
Nach einem Hurricane-Schaden an der ehemaligen Plattform Transocean Marianas im November 2009, übernimmt die Deepwater Horizon die Bohrungen nach Öl im Golf von Mexiko im Februar 2010. Dies geschieht auf einer Tiefe von 1.500 Metern, es soll bis zu 5.500 Meter unter dem Meeresspiegel gebohrt werden.
Februar 2010: Das Unterfangen erweist sich als äußerst kompliziert. Der Meeresfels erweist sich als porös. Der Bohrschlamm reißt die Meeressteine immer weiter auf und kubikmeterweise verschwindet Gestein in den Rissen am Meeresgrund. Ständig entstehen neue Gasblasen. Heute ist es erwiesen, dass die Arbeiter das Bohrloch No. 60-817-44169 als „Bohrloch aus der Hölle“ (the well from hell) bezeichneten. In internen Mails sprechen Arbeiter davon, das Gefühl zu haben, Mutter Natur wehre sich gegen diese Bohrung. Als würde dieses Loch nicht gebohrt werden wollen. Ingenieure warnen BP davor, dass der Blowout Preventer dem immensen Druck eventuell nicht Stand halten könne.
März 2010: Die Zielsetzung war, dass das Bohrloch am 8. März 2010 fertiggestellt sein sollte. Die Kosten bis zu diesem Zeitpunkt beliefen sich auf 96 Mio. US-Dollar. Doch das Bohrloch war nicht fertig. Und um allem die Krone aufzusetzen, beschädigte ein Unfall die Dichtung am Blowout Preventer. Das kann man heute als den ersten gefallenen Domino-Stein bezeichnen.
April 2010: Im April 2010 überschlagen sich die Ereignisse und bleiben doch von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt. BP entscheidet sich, den Schaden am Blowout Preventer mit Zement zu beheben. Zugleich entschließen sich die Verantwortlichen, das Bohrloch mit einem sogenannten einzelnen Liner zu ummanteln statt wie von Experten dringend empfohlen, mit einem Liner mit vier redundanten Strömungsbarrieren. BP möchte Geld sparen – 3 Millionen US-Dollar Ersparnis, die über eine Katastrophe entschieden haben. Es ist der nächste Domino-Stein, der fällt.
In den nächsten zwei Wochen spart BP an jeder ersichtlichen Stelle. Es wird nicht zementiert, Bohrschlamm wird weder entfernt bzw. es wird zu wenig Bohrschlamm zur Zirkulation um das Bohrloch gebracht. BP macht in jedem Schritt exakt das Gegenteilige von dem, was von Experten empfohlen wird. Beim Domino-Day hätte BP den ersten Parcours gewonnen.
Warum aber passiert das? BP empfindet Druck. Die Deepwater Horizon liegt weit hinter dem Zeitplan. Der Auftrag hätte längst abgeschlossen sein müssen; der Einsatz der Plattform war für 21 Tage geplant, inzwischen lief er über 19 Tage zu lang. Der Einsatz der Deepwater Horizon war an anderer Stelle geplant und hatte den Konzern schon 21 Mio. US-Dollar mehr gekostet. Jeder Tag kostete ca. 1 Mio. US-Dollar mehr. Die Rechnung eines Konzerns mit einem jährlichen Umsatz von knapp 309 Mrd. (!) US-Dollar im Jahr 2010.
48 Stunden vor dem Blowout: Aufgrund dieser Verzögerungen bestanden die BP-Verantwortlichen auf die Beschleunigung der vorgesehenen und auch vorgeschriebenen Tests. Erhöhter Druckergebnisse wurden abgewiegelt, Tests auf die Schnelle wiederholt und trotz zahlreicher Bedenken wurde das Bohrloch schließlich als sicher eingestuft. Alles schien vorbei, die Bohrung erfolgreich abgeschlossen, der Auftrag erfolgreich durchgeführt. Dabei war es nur der letzte Domino-Stein, der fiel.
20. April 2010: Um 7 Uhr morgens (UCT) bricht BP das Zementbindungsprotokoll ab. Der Test hätte weitere Stunden vor Ort gekostet und 128.000 US-Dollar mehr gekostet. Ohne den Test zahlt BP nur noch eine Gebühr von 10.000 US-Dollar. BP-Verantwortliche fliegen ein, um der Crew zu einem erfolgreichen Job ohne weitere Zwischenfälle und Unfälle zu gratulieren.
Doch die Domino-Steine sind alle gefallen. Um 21:49 Uhr (UCT) erscheinen auf den Kontrollmonitoren magentafarbene Warnungen auf. Magentafarbene Warnungen sind die gefährlichsten. Sie signalisieren das Eindringen brennbarer Gase. Nur sieben Minuten später strämt Gas aus dem Bohrloch in das Bohrgerät. Sämtliche Kontroll- und Sicherheitssysteme auf der Deepwater Horizon versagen. Um kurz nach 22 Uhr (UCT) wird die Plattform von zwei schweren Erschütterungen erfasst. Kurz darauf kommt es zu der verheerenden Explosion und zu dem Brand. Den Blowout Preventer reißt es vollständig aus dem Meeresboden. Zwei Tage später versinkt Deepwater Horizon im Golf von Mexiko.
Die Folgen bis heute
Elf Menschen sterben bei der Katastrophe auf der Deepwater Horizon und werden nie geborgen. Bis zum 16. Juli 2010 – rund drei Monate – strömte Rohöl und Erdgas in den Golf von Mexiko. Ein über 9.900 Quadratkilometer großer Ölteppich erstreckte sich. Das sind rund 1,4 Mio. Fussballfelder. Die Ausläufer erstreckten sich bis in das Mississippi-Delta. Der Notstand wurde in vier Bundesstaaten ausgerufen. Schließlich erreichte das Öl auch die Küste von Mexiko. Heute ist der Ölteppich auf dem Golf von Mexiko nicht mehr zu sehen. Er wurde abgebrannt, durch Chemikalien zersetzt oder an der Meeresoberfläche gereinigt.
Aber das Öl macht sich bis heute bemerkbar. Die Bohrstelle liegt im Zentrum eines Tierschutzreservates. Fast 800.000 Tiere sterben qualvoll und elendig. Bis heute werden Ölnachweise in Eiern von Vögeln und Fischen nachgewiesen. Die langfristigen Folgen sind bis heute – elf Jahre nach der Katastrophe – nicht abschätzbar.
Unser Komfort um jeden Preis?
Die Katastrophe ist das Ergebnis einer Ersparnis von drei bis fünf Mio. US-Dollar.
Die Folgen und unseren immer noch bestehenden Komfort hat BP mit einer Entschädigungszahlung von 18,7 Mrd. US-Dollar im Jahr 2015 beglichen. Bei einem Jahresumsatz von rund 226 Mrd. US-Dollar im selben Jahr.
Es gibt zahlreiche weitere Details, die die Katastrophe noch weiter beleuchten. Ich habe diese in den wichtigsten Punkten zusammengefasst. Eine wirklich umfassende Analyse hätte den Umfang eines Buches.
Was aber bleibt sind simple Fragen: Ist unser Komfort, Öl, diese Ressourcen, sind sie uns nur so viel wert? 18,7 Mrd. US-Dollar für unsere Erde ausreichende Entschuldigung?
Ich denke nicht. Ich denke es seit elf Jahren nicht. Und es liegt mir am Herzen, euch zu erinnern, was wir alles in Kauf nehmen und genommen haben. Deshalb jedes Jahr wieder: Remember Deepwater Horizon. Nichts ist sicher im Leben. Und als letztes sind es Tiefbohrungen im Meer. Sie sind es nie gewesen, sie werden es nie sein. Wir müssen andere Mittel und Wege, alternative Ressourcen nutzen, voranbringen, fördern. Es ist nicht Zeit. Die Zeit ist um. Die Domino-Steine sind gefallen. Fragt sich, ob dieses Fallen wirklich einen Gewinn darstellt oder ob es uns nicht einfach umreißt.
P.S.: Ich bitte euch übrigens, diesen äußerst schlechten heorischen Film mit Mark Wahlberg nicht zu gucken. Es gibt kaum schlechtere Verfilmungen dieser Katastrophe als diesen Film! Schaut lieber das hier: Abenteuer Wissen – Die Ölpest im Golf von Mexiko (5 Teile; habe ich verlinkt).
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